Heiße Energie aus der Tiefe.
Wie die Geothermie unsere Zukunft verändert
Während die Welt nach klimafreundlichen Energiequellen sucht, brodelt unter unseren Füßen ein kaum genutzter Schatz: Erdwärme. Lange als technische Nische belächelt, entwickelt sich die Geothermie zunehmend zu einer tragenden Säule der Energiewende. Neue Technologien, ambitionierte Pilotprojekte und wachsende Investitionen aus Wirtschaft und Politik lassen eine stille Revolution in der Tiefe erahnen – mit Potenzial für eine nachhaltige und unabhängige Energieversorgung.
Von Island nach Bayern: Wo Geothermie schon heute funktioniert
In Regionen wie dem Raum München wird bereits erfolgreich Erdwärme genutzt. Tiefe hydrothermale Anlagen fördern dort heißes Wasser aus dem Untergrund – ausreichend, um ganze Stadtviertel zu beheizen. Das dortige Gestein ist porös, wasserführend und eignet sich ideal für die Nutzung tiefer geothermischer Energie. Kommunen wie Unterhaching oder München-Sendling gelten europaweit als Vorreiter.
Doch solche Standorte sind geologisch begünstigt: Das Gestein ist porös, durchlässig und mit heißem Wasser durchzogen. In vielen anderen Gebieten jedoch fehlt genau diese Voraussetzung. Das Gestein ist zu dicht, zu trocken – klassische Geothermie greift hier nicht. Und doch will man auch dort das enorme Energiepotenzial anzapfen.
Neue Technologien für neue Tiefen: Enhanced Geothermal Systems
Hier kommt das Konzept der Enhanced Geothermal Systems (EGS) ins Spiel. Ziel ist es, das Gestein künstlich durchlässig zu machen – mithilfe von Technologien, die ursprünglich aus der Öl- und Gasförderung stammen. Der bekannteste und zugleich umstrittenste Ansatz: Fracking. Dabei wird Wasser unter hohem Druck in die Tiefe gepresst, um Risse im Gestein zu erzeugen oder zu erweitern.
Was bei fossilen Brennstoffen funktioniert, könnte auch für Geothermie der Schlüssel sein. Doch es ist nicht risikofrei: In Basel (2006) und Pohang, Südkorea (2017) kam es infolge geothermischer Bohrungen zu spürbaren Erdbeben. Diese Ereignisse führten zu Rückschlägen und einem deutlichen Rückgang von Investitionen in die Tiefengeothermie.
Forscher arbeiten daher intensiv daran, Verfahren sicherer und kontrollierbarer zu gestalten – etwa im Testzentrum Utah FORGE in den USA, wo mit modernsten Sensoren und Bohrtechniken gearbeitet wird. Auch in Europa setzen Initiativen wie DEEP in Frankreich oder das GEOSTAR-Konsortium auf neue Standards für die sichere Erschließung geothermischer Potenziale.
Ein zentrales Ziel ist es, EGS-Verfahren so weiterzuentwickeln, dass sie risikoarm, skalierbar und wirtschaftlich tragfähig werden – insbesondere für Regionen, die bisher nicht geothermisch erschlossen sind. Damit ließe sich der Aktionsradius der Technologie enorm erweitern.
Hightech aus der Tiefe: Neue Bohrmethoden und Wärmetauscher
Eine andere innovative Strategie verfolgt das kanadische Unternehmen Eavor Technologies: Anstatt das Gestein zu fracken, bohren sie ein geschlossenes Röhrensystem tief unter der Erde, das als gigantischer Wärmetauscher fungiert. In Geretsried (Bayern) entsteht derzeit eine solche Anlage – mit Bohrungen bis zu acht Kilometer weit. Das Prinzip erinnert an eine unterirdische Fernwärmeschleife: Wasser wird erhitzt, an die Oberfläche geleitet und wieder in die Tiefe gepumpt.
Die Herausforderung liegt in der Präzision. Ohne GPS in der Tiefe greifen die Ingenieure auf magnetische Ortungsverfahren zurück, um Bohrstränge metergenau zu verbinden – eine technische Meisterleistung. Das Projekt wird teilweise von Microsoft finanziert – ein Hinweis darauf, wie strategisch interessant Geothermie für große Tech-Unternehmen wird. Diese denken dabei nicht nur an die reine Wärmeerzeugung, sondern auch an mögliche Synergien für Rechenzentren, industrielle Anwendungen und Speicherlösungen.
Weitere Unternehmen – etwa aus den Niederlanden, Frankreich oder Australien – entwickeln derzeit Konzepte für sogenannte Loop-Systeme, bei denen Flüssigkeiten in geschlossenen Kreisläufen zirkulieren. Ziel ist es, mechanische Belastung des Gesteins zu vermeiden und gleichzeitig langfristige Betriebssicherheit zu gewährleisten.
Geothermie: Potenzial für 25 % des deutschen Wärmebedarfs
Studien der Fraunhofer-Gesellschaft und Helmholtz-Gemeinschaft schätzen das Potenzial tiefengeothermischer Anlagen in Deutschland auf rund 25 % des gesamten Wärmebedarfs. Das wäre genug, um Millionen Haushalte und Industrieprozesse zu versorgen – und das weitgehend CO₂-frei, wetterunabhängig und grundlastfähig.
Hinzu kommt: Geothermie kann dezentral ausgebaut werden. Statt gigantischer Einzelprojekte ließe sich ein Netz regionaler Erzeuger aufbauen, das kommunale Wärmeplanung, ökologische Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Unabhängigkeit miteinander verbindet. Vor allem im ländlichen Raum sehen Experten großes Potenzial für Geothermieanlagen im Zusammenspiel mit Nahwärmenetzen.
Doch der Weg dorthin ist steinig. Es fehlt an Bohrkapazitäten, ausgebildeten Fachkräften und beschleunigten Genehmigungsverfahren. Das geplante „Geothermiebeschleunigungsgesetz“ sollte Abhilfe schaffen – wurde aber nach dem Koalitionsbruch in Berlin zunächst auf Eis gelegt. Kommunen klagen über lange Planungszeiten, unklare Förderbedingungen und mangelnde politische Unterstützung.
Zudem sind die Anfangsinvestitionen hoch. Eine Tiefenbohrung kann mehrere Millionen Euro kosten – mit ungewissem Ausgang, wenn die Gesteinsbedingungen nicht wie erhofft sind. Daher fordern Fachverbände staatliche Risikoabsicherungen und eine Verstetigung von Förderprogrammen.
Zukunftsperspektiven: Energie, Speicherung und Unabhängigkeit
Ein spannender Zusatznutzen geothermischer Anlagen: Sie könnten in Zukunft nicht nur Energie liefern, sondern auch als Wärmespeicher dienen. Überschüssiger Strom aus Wind- oder Solaranlagen ließe sich in Form von Wärme in die Tiefe schicken und bei Bedarf wieder abrufen – ein flexibles Speichersystem für die Energiewende.
Auch auf europäischer Ebene rückt Geothermie stärker in den Fokus. Die EU fördert unter dem Green-Deal-Dach mehrere Forschungsprojekte, etwa zur Kombination von Geothermie mit Power-to-Heat-Technologien, CO₂-neutraler Prozesswärme für die Industrie oder saisonalen Speichermodellen.
Für Geologe Ingo Sass (GFZ Potsdam) ist klar: „Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt.“ Mit fortschreitender Technik und gesellschaftlichem Umdenken könne die Geothermie bald zur festen Größe werden – selbst in urbanen Räumen, die der Technologie früher skeptisch gegenüberstanden. Initiativen wie die „Wärmewende vor Ort“ zeigen, wie kommunale Versorger zunehmend Geothermie als verlässlichen Baustein ihrer Klimastrategien begreifen.
Ein weiterer positiver Nebeneffekt: Geothermie schafft qualifizierte Arbeitsplätze in den Bereichen Tiefbohrtechnik, Geophysik, Anlagenbau und Energieversorgung – ein oft unterschätzter Aspekt im Strukturwandel der Energiewirtschaft.
Die Revolution ist leise – aber sie hat begonnen
Tief unter der Erde wartet eine Energiequelle mit gigantischem Potenzial. Die Kombination aus technologischen Innovationen, politischen Impulsen und privatem Kapital macht die Geothermie zu einer Hoffnungsträgerin der Dekarbonisierung. Noch ist sie nicht Mainstream – aber wenn die Voraussetzungen stimmen, könnte sie schon bald eine zentrale Rolle in der europäischen Energiezukunft spielen.
Der Wandel braucht Geduld – aber auch Mut zur Entscheidung. Wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam an einem Strang ziehen, könnte aus der warmen Tiefe eine echte Säule für eine saubere, stabile und sichere Energiezukunft entstehen.