Irrweg der Psychologie

 

Warum das Stanford-Gefängnisexperiment als wissenschaftliches Desaster gilt

In der Psychologie gibt es wenige Experimente, die einen so tiefen Abdruck in der Populärkultur hinterlassen haben wie das Stanford-Gefängnisexperiment. Was 1971 als Versuch zur Untersuchung menschlicher Grausamkeit begann, gilt heute als Paradebeispiel für fragwürdige Wissenschaftlichkeit und ethisches Versagen. Der Psychologe Philip Zimbardo wollte zeigen, dass gewöhnliche Menschen unter bestimmten Bedingungen zu Gewalt neigen. Doch das Experiment, das im Keller der Stanford University stattfand, hat sich als höchst manipulativ und methodisch zweifelhaft erwiesen. Höchste Zeit, dass wir die fragwürdigen Grundlagen dieses berühmten, aber berüchtigten Experiments beleuchten.

Der Plan: Ein Gefängnis im Uni-Keller

Zimbardo rekrutierte 24 männliche Studierende, die in einem künstlichen Gefängnis als Wärter oder Gefangene agieren sollten. Die Rollenverteilung wurde per Münzwurf entschieden, und schon nach kurzer Zeit zeigte sich eine radikale Eskalation der Gewalt: Wärter drangsalierten Gefangene mit sadistischen Strafen und demütigten sie auf verschiedenste Weise. Bald war klar, dass das Experiment völlig außer Kontrolle geraten war. Ein Studierender erlitt gar einen Nervenzusammenbruch, und die Forschenden mussten das Experiment nach nur sechs Tagen abbrechen – geplanter Zeitraum waren zwei Wochen.

Problematische Methodik und Einflussnahme

Heute wissen wir: Zimbardo spielte eine deutlich aktivere Rolle als er öffentlich zugab. Berichte und Dokumente, die später ausgewertet wurden, deuten darauf hin, dass er als „Gefängnisdirektor“ den Wärtern suggerierte, härter durchzugreifen. So soll er ihnen beispielsweise angedeutet haben, dass strikte Disziplin nötig sei, um die „Gefangenen“ zu kontrollieren – was die Gewaltbereitschaft bei den Wärtern maßgeblich anstachelte. Thibault Le Texier, ein französischer Sozialwissenschaftler, veröffentlichte 2019 umfassende Recherchen, die belegen, dass Zimbardo nicht nur implizit Gewalt begünstigte, sondern auch gezielt Studienteilnehmer auswählte, um seine These zu untermauern.

Wissenschaftlicher Wert: Eine Illusion?

Das Stanford-Gefängnisexperiment gilt vielen heute als moralischer und wissenschaftlicher Fehltritt. Die Methode war unethisch, die Teilnehmer nicht repräsentativ, und Zimbardos eigenes Verhalten verzerrte das Ergebnis zusätzlich. Dass ausnahmslos weiße, junge Männer mit ähnlichem kulturellem Hintergrund als Teilnehmer herangezogen wurden, unterstreicht den mangelnden wissenschaftlichen Anspruch der Studie. Heute, so Fachleute, wäre ein solches Experiment undenkbar: Die modernen ethischen Standards verhindern, dass Teilnehmer in solchen Situationen emotionalem und körperlichem Stress ausgesetzt werden.

Die unkritische Verklärung in den Medien

Trotz seiner fragwürdigen Methodik ist das Stanford-Gefängnisexperiment bis heute im Lehrplan vieler Psychologiestudiengänge zu finden, und es wurde 2015 sogar verfilmt. Doch anstatt das Experiment kritisch zu hinterfragen, feierten Medien und Filmindustrie es oftmals als Beleg für die Verführbarkeit und Gewaltpotenziale des Menschen. Dass Zimbardo die Aussagen seines Experiments durch manipulative Eingriffe massiv beeinflusste, wurde selten thematisiert – ein erschreckendes Beispiel dafür, wie Wissenschaft zur moralischen Erzählung umfunktioniert werden kann.

Ein Denkmal für schlechte Wissenschaft

Am Ende steht das Stanford-Gefängnisexperiment heute vor allem für eines: die Notwendigkeit, ethische und wissenschaftliche Standards zu verteidigen. Es zeigt, dass selbst Wissenschaftler mit moralischen Vorsätzen anfällig für Machtmissbrauch und Selbsttäuschung sind. Die Erkenntnisse, die das Experiment liefern sollte, nämlich dass äußere Umstände Menschen zu Gewalt treiben können, mögen in Teilen richtig sein – doch die Art und Weise, wie diese Studie durchgeführt wurde, ist ein Denkmal für unethische und unsaubere Wissenschaft.

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