Gliazellen helfen Gedächtnis auf die Sprünge

 


Gliazellen helfen Gedächtnis auf die Sprünge

Johannes Seiler Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Im Gehirn gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Zelltypen, die Nerven- und die Gliazellen. Letztere isolieren zum Beispiel die „Verkabelung“ von Nervenzellen oder garantieren optimale Arbeitsbedingungen für diese. Eine neue Studie unter Federführung der Universität Bonn hat nun in Nagetieren eine weitere Funktion entdeckt: Demnach spielt ein bestimmter Typ von Gliazellen eine wichtige Rolle beim räumlichen Lernen. An den Arbeiten war das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) beteiligt. Sie sind nun in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.

Jeder Ort hat zahlreiche Charakteristika, die ihn in ihrer Summe unverwechselbar machen: Ein urtümlich gewachsener Baum. Ein plätschernder Bach zu seinen Füßen. Duftende Wildblumen auf der Wiese dahinter. Wenn wir einen Ort das erste Mal besuchen, speichern wir diese Merkmal-Kombination ab. Wenn wir dem Zusammenspiel aus Baum, Bach und Wildblumenwiese dann ein weiteres Mal begegnen, erkennt unser Gehirn das: Wir erinnern uns, schon einmal dort gewesen zu sein.

Möglich machen das Mechanismen wie zum Beispiel die sogenannte dendritische Integration synaptischer Aktivität. „Wir konnten zeigen, dass die sogenannten Astrogliazellen oder Astrozyten bei dieser Integration eine wesentliche Rolle spielen“, erklärt Prof. Dr. Christian Henneberger vom Institut für zelluläre Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Bonn. „Sie regulieren, wie empfindlich Nervenzellen auf eine spezifische Kombination von Merkmalen reagieren.“

Eine Millionen Ortszellen im Mäuse-Hirn

Die Forschenden haben in ihrer Studie Neuronen im Hippocampus von Nagetieren unter die Lupe genommen. Das ist eine Region im Gehirn, die bei Gedächtnis-Prozessen eine zentrale Rolle spielt. Das gilt vor allem für die räumliche Erinnerung: „Im Hippocampus gibt es Neuronen, die genau darauf spezialisiert sind – die Ortszellen“, sagt Henneberger, der auch Mitglied im Sonderforschungsbereich 1089 – hier war das Forschungsprojekt angesiedelt – und im Transdisziplinären Forschungsbereich „Life & Health“ der Universität Bonn ist. Allein im Hippocampus der Maus gibt es davon rund eine Million. Jede davon spricht auf eine spezifische Kombination von Umgebungs-Merkmalen an.

Ortszellen verfügen über lange Ausläufer, die Dendriten. Diese sind verzweigt wie die Krone eines Baums und mit zahlreichen Kontaktstellen übersät. An ihnen laufen die Informationen ein, die unsere Sinne uns zu einem Ort vermitteln. Die Kontakte werden Synapsen genannt. „Wenn an vielen benachbarten Synapsen zur selben Zeit Signale eingehen, dann bildet sich im Dendrit ein starker Spannungspuls - ein sogenannter dendritischer Spike“, erläutert Dr. Kirsten Bohmbach, die die meisten Experimente in der Studie durchgeführt hat. „Dieser Vorgang ist es, den wir als dendritische Integration bezeichnen: Nur wenn eine ausreichende Anzahl von Synapsen gleichzeitig aktiv ist, entsteht der Spike. Solche Spikes wandern in Richtung Zellkörper und können dort einen weiteren Spannungspuls auslösen - ein Aktionspotenzial.“

Ortszellen im Aufmerksamkeits-Modus

Ortszellen erzeugen in regelmäßigen Abständen Aktionspotenziale. Die Geschwindigkeit, in der sie das tun, kann stark variieren. Wenn sich Mäuse in einer neuen Umgebung orientieren, schwingen sich ihre Ortszellen jedoch stets in einem speziellen Rhythmus ein - sie erzeugen dann fünf bis zehn Spannungspulse pro Sekunde. Dieser Rhythmus bewirkt, dass die Nervenzellen bestimmte Botenstoffe abgeben. Und hier kommen die Astrozyten ins Spiel: Sie verfügen über Sensoren, an die diese Botenstoffe andocken, und geben daraufhin ihrerseits eine Substanz namens D-Serin ab.

„Das D-Serin wandert dann zu den Dendriten der Ortszellen“, erklärt Bohmbach. „Dort sorgt es dafür, dass die dendritischen Spikes leichter entstehen können und zudem deutlich kräftiger ausfallen.“ Wenn Mäuse im Orientierungs-Modus sind, fällt es ihnen dadurch leichter, neue Orte abzuspeichern und wiederzuerkennen. Es ist ähnlich wie bei einer Taxifahrerin, die konzentriert durch die Innenstadt navigiert und sich veränderte Örtlichkeiten einprägen muss. Der Passagier neben ihr schaut zwar ebenfalls auf die Straße, ist aber mit den Gedanken woanders und merkt sich weniger (allerdings spielen bei solchen Aufmerksamkeits-Phänomenen auch noch ganz andere Prozesse eine Rolle).

„Wenn wir die Hilfe der Astrozyten in Mäusen unterbinden, erkennen sie bekannte Orte seltener wieder“, sagt Henneberger. Das gilt aber nicht für Orte, die besonders relevant sind - etwa weil von ihnen eine potenzielle Gefahr ausgeht: Diese werden von den Tieren weiterhin gemieden. „Der von uns entdeckte Mechanismus steuert also die Schwelle, ab der Ortsinformationen abgespeichert oder wiedererkannt werden.“ Die Ergebnisse gewähren einen neuen Einblick in die Arbeitsweise und Steuerung des Gedächtnisses. Mittelfristig können sie vielleicht auch zu einer Antwort auf die Frage beitragen, wie bestimmte Formen von Erinnerungsstörungen entstehen.

Die Forschungsergebnisse sind auch Ausdruck einer fruchtbaren inneruniversitären Kooperation: „Ohne die intensive Zusammenarbeit mit dem Labor von Prof. Dr. Heinz Beck am Institut für Experimentelle Epileptologie und Kognitionswissenschaften und insbesondere seinen Mitarbeitern Dr. Nicola Masala und Dr. Thoralf Opitz wären sie nicht möglich gewesen“, betont Henneberger.

( Quelle: https://idw-online.de/de/news807463 )

 

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